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"Als würde sich die Eroberung des Raumes am Ende als eine Eroberung allein der Bilder des Raumes herausstellen" Paul Virilio, 1987
"I hear the blood in my veins" Bruce Springsteen, 1994
"Neue Medien und Computertechnologien haben uns in diese Zone der Indifferenz von Sein und Schein, Wirklichkeit und scheinen." Norbert Bolz, 1994
"Die große Kultur der taktilen Kommunikation steht vor der Tür. Im Zeichen des techno luminös kinetischen Raumes und des totalen räumlich dynamischen Theaters."
Jean Baudrillard, 1978
"Alles ist medial. Es gibt keinen ursprünglichen, nicht medialen Zustand, in dem man das au- thentische Menschsein erleben könnte. Was nicht unmittelbar hörbar sichtbar, fühlbar ist, ist irgendwo gelagert, aber noch nicht zugänglich. Die Idee, es gäbe einen außermedialen Rest, ist Motor des exklusiven Tourismus." Agentur Bilwet, 1994
"...aber er meinte, es müsse ein unendliches Wonnegefühl sein, so von dem eigentlichen Leben jeder Form berührt zu werden, für Gesteine, Metalle, Wasser und Pflanzen eine Seele zu haben, so traumartig jedes Wesen in der Natur in sich aufzunehmen, wie die Blumen mit dem Zu- und Abnehmen des Mondes die Luft."
Georg Büchner zitiert von Deleuze/Guattari,1972
"Bei längerem Aufenthalt in der medialen Umwelt scheint sich der Körper aufzulösen. Mit den Grenzen der eigenen Umgebung verwischen sich auch die Grenzen des eigenen Körpers." Agentur Bilwet, 1993
"Ihr habt keine Körper, ihr seid Körper." Wilhem Reich, 1964
"Am liebsten möchte ich eine Maschine sein." Andy Warhol
"Ich kann schon nicht mehr denken, was ich denken will. Die beweglichen Bilder haben sich an den Platz meiner Gedanken gesetzt." Georges Duhamel zitiert von Walter Benjamin, 1934 "Innerhalb grosser geschichtlicher Zeiträume verändert sich mit der gesamten Daseinsweise der menschlichen Kollektion auch die Art und Weise ihrer Sinneswahrnehmung."
Walter Benjamin, 1934
"So ist die filmische Darstellung der Realität für den heutigen Menschen darum die unvergleichlich bedeutungsvollere, weil sie den apparatfreien Aspekt der Wirklichkeit, den er vom Kunstwerk zu fordern berechtigt ist, gerade auf Grund ihrer Durchdringung mit der Apparatur gewährt." Walter Benjamin, 1934
"Bei längerem Aufenthalt in der medialen Umwelt scheint sich der Körper aufzulösen. Mit den Grenzen der eigenen Umgebung verwischen sich auch die Grenzen des eigenen Körpers." Agentur Bilwet, 1993
"Die Bemühungen um die Ästhetisierung der Politik gipfeln in einem Punkt. Dieser Punkt ist der Krieg." Walter Benjamin, 1934
"Das einzige, worauf Du Dich berufen kannst, das ist weder die Richtigkeit deines Zeugnisses, noch die Aufrichtigkeit Deiner Huldigung und ebensowenig die Arbeit, die Du machen mußt, sondern Dein Körper (...) Alle in deinem Körper verborgenen ruhenden Körper sind bestimmungslose Geheimhaltung und Ortlosigkeit der gesichtslosen Sache."
Jean François Lyotard, 1992
"Man sieht (hört, riecht, tastet) von einem einzelnen Körper aus, an einen Körper gebunden heißt aber zugleich: an einen Ort gebunden zu sein. Denn ein Körper kann nicht hier und dort zugleich sein. Genau aber das kann und ist das Fernsehen." Samuel Weber, 1992
"Der Bildschirm gibt dieser Bewegung und Beziehung - dem Sehvermögen - eine elektronisch- phänomenale Materialität durch jene geisterhaft flimmernde Ausstrahlung, welche die Auflösung des Körpers verkörpert." Samuel Weber, 1992
"Das Radio ist eine Erweiterung des Gehörs, die sehr naturgetreue Fotografie erweitert den Gesichtssinn. Aber das Fernsehen ist vor allem eine Erweiterung des Tastsinns, das ein optimales Wechselspiel der Sinne mit sich bringt." Marshall McLuhan, 1964
"Für den Tastsinn ist alles plötzlich, konträr, ursprünglich, selten, fremd."
Marshall McLuhan, 1964
"Die jungen Leute, die seit einem Jahrzehnt fernsehen, haben mit dieser Erfahrung einen Drang zum ganzheitlichen Miteinbezogensein bekommen, wodurch die perspektivischen Fernziele der traditionellen Zivilisation nicht nur weltfremd, sondern irrelevant, ja sogar inhaltslos erscheinen." Marshall McLuhan, 1964
"Der westliche Mensch ist tatsächlich vom Alphabet bis zum Auto in einer langsamen tech-nischen Explosion, die 2500 Jahre dauerte, ständig umgewandelt worden. Seit der Zeit der Telegrafie jedoch, erlebt der westliche Mensch eine Implosion." Marshall McLuhan, 1964
"I celebrate myself, and what I assume you shall assume, for every atom belonging to me as good belongs to you. I loafe and invite my soul, I lean and loafe at my ease... observing a spear of summer grass." Walt Whitman, 1855
"Jeder heutige Mensch kann einen Anspruch vorbringen, gefilmt zu werden."
Walter Benjamin, 1934
"Auf jeden Fall ist die virtuelle Kamera in seinem Kopf, und sein ganzes Leben hat eine Videodimension angenommen. Er glaubt, als Originalfassung zu existieren, er weiß aber nicht, daß die Originalfassung heute nicht mehr ist, als nur ein Sonderfall der Verdoppelung - eine Variante für die happy few. Er hat keine eigene Existenz mehr, er steht im Schatten einer unmittelbaren Rückvermittlung seiner Taten und Gesten - auf welchem Kanal auch immer. Früher hätte man das als Polizeikontrolle erlebt, heute erlebt man es als Werbeaktion."
Jean Baudrillard, 1993
"Endlos deliriert die Libido die Geschichte, die Kontinente, die Königreiche, die Rassen und Kulturen." Gilles Deleuze & Felix Guattari, 1972
"Eine Welt transversaler Kommunikation, wo das endlich errungene unmenschliche Geschlecht eins wird mit den Blumen, eine neue Erde, wo der Wunsch entsprechend seinen Elementen und molekularen Strömungen funktioniert. Eine solche Reise impliziert nicht notwendig großräumige Bewegungen, sie findet als ruhende, in einem Zimmer und einem organlosen Körper statt, ist eine intensive Reise, die alle Erden zugunsten jener, die sie erschafft, vernichtet." Gilles Deleuze & Felix Guattari, 1972
"Trotzki hat berichtet, daß Stalin für die Sowjetunion ein leistungsfähiges Telefonnetz wollte. Hitler hat zwar die kontollierbaren Massenmedien intensiv ausgebaut, aber die Ausbreitung des Telefons durch Besteuerung gebremst." Florian Rötzer, 1995
"Ich glaube also, daß die heutige Unruhe grundlegend den Raum betrifft - jedenfalls viel mehr als die Zeit. Die Zeit erscheint wohl nur als eine der möglichen Verteilungen zwischen den Elementen." Michel Foucault, 1967
"Die Parallele zur Maschine ist wirklich zu beklemmend. Das Konzept der Triebabfuhr erklärt nicht erschöpfend die mannigfaltigen Bilder des Unbewussten." C.G. Jung, 1937
"Für eine neue Erfahrung lohnt sich vielleicht der Sex auf dem Netz (...) Chat in Echtzeit, electronic + explicit. Es gibt keine Scham hier, eine globale Orgie der Selbstbefriedigung, getriggert über Datenleitungen, absolut sicher und völlig ohne Austausch von Körperflüssigkeiten. Wenn alles geht, warum nicht auch Remote Sex. Das Spiel mit der Übertretung der Grenzen hat aber seine eigenen Gefahren, klar kann jedes Geschlecht angenommen werden, alle Spielarten sind erlaubt (...) http:/shack.bianca.com?shack/goodvibe/feedback/ Frontpage 05/96"
Jens-Peter Schulz, 1996
"Die grosse Obsession des 19. Jahrhunderts ist bekanntlich die Geschichte gewesen: die Entwicklung und der Stillstand, die Krise und der Kreislauf, Die Akkumulation der Vergangenheit, die Überlast der Toten, die drohende Erkaltung der Welt (...).Hingegen wäre die aktuelle Epoche eher die Epoche des Raumes. Wir sind in der Epoche des Simultanen, wir sind in der Epoche der Juxtaposition, in der Epoche des Nahen und des Fernen, des Nebeneinander, des Auseinander." Michel Foucault, 1967
"Die industriellen Medien sind Nutznießer eines einzigartigen Verfalls der demokratischen Gesetze." Paul Virilio, 1994
Never mind the nineties
Kunst der 90er Jahre sollte der Untertitel der Ausstellung nach weimar sein. Der Untertitel konnte vermieden werden.
Eine Recherchegrundlage zu den 90ern stellt die Vortragsreihe Never mind the nineties am Fachbereich 1 der Berliner Hochschule der Künste in Kooperation mit den Kunst-Werken Berlin dar. Als Mitinitiatorin der Veranstaltungsreihe verbindet Katharina Sieverding die akademische und künstlerische Praxis. Ihre offene und öffentliche Lehre integriert Kunstausübung und -vermittlung. In einer fortlaufenden Reihe mit ähnlichen Fragestellungen präsentieren Künstler und Kunstvermittler ihre eigene Arbeit und betten diese in einen größeren kulturellen, zeitlichen Zusammenhang ein.
Die einzelnen Veranstaltungen werden auf Video aufgezeichnet und stehen als Materialsammlung Interessierten zur Verfügung. Auch die relativ große Zahl der Vorträge läßt nur eine Annäherung an die Gruppe der ausgesuchten und eingeladenen Künstler zu. Aber durch Wiederholung der Situation und unterschiedliche Darstellungen entsteht eine Ebene, auf der ein Feld von Begriffen und Phänomenen greifbar wird.
Die der jeweiligen Arbeit zugrundeliegende Haltung, das Anliegen, die Herangehensweise, Recherche, Forschung und das dadurch bedingte Menschenbild, sind ebenso zentrale Gegenstände der Betrachtung wie der Umgang mit möglichen Bedeutungen und Veranschaulichungen von Begriffen wie Identität, Repräsentation, Analogie und Virtualität, positive und negative Antizipation.
Der Titel Never mind the nineties von Katharina Sieverding entzieht sich dabei einer eindeu-tigen Festlegung, affirmiert ironisch und polemisiert das Herbeireden und die Definition einer neuen Kunst-Generation.
Die rein sprachliche und kunstmarkttypische Konstruktion der 90er als die Zeit, die nach dem 80er-Jahre-Kater kommen mußte, soll eine klare Zäsur suggerieren. Kurz vor der Jahrtausendwende, nach der schon einsetzenden Fin de siècle-Aufregung, können innerhalb einer Dekade viele augenblicklich noch aktuelle Erscheinungen als Themen aus dem letzten Jahrhundert abgehandelt werden.
Viele jüngere Künstler beziehen sich augenblicklich auf die Land-Art, Minimal Art, Body-Art, Konzeptkunst und Time-based Art (Foto, Film, Video) der 60er und 70er Jahre.
Eine erneute Infragestellung des Objektbegriffes und der Rolle des kreativen, außerhalb der Gesellschaft stehenden Einzelkünstlers, der "kleinen verkaufbaren Objekte" (Anna Oppermann), nach denen der Kunsthandel verlangt, wurde durch Gruppenarbeiten und prozessuale Annäherung aufgegriffen und in seminarähnlichen Situationen präsentiert.
Die Ausstellung when techno turns to sound of poetry in Zürich und Berlin, die von einer Gruppe von Theoretikerinnen und Künstlerinnen organisiert und durchgeführt wurde, erreichte durch Ausstellungen, begleitende Veranstaltungen, Filmprogramme und Vorträge eine derartige Komplexität und gleichzeitig eOffenheit, daß sie nicht nur innerhalb des engen Rahmens der Kunstrezeption Beachtung fand.
Die Vorgehensweise als solche ist auf einen institutionellen Kontext, ohne ideologisch zu werden, nur schwer übertragbar und nicht wiederherzustellen. Gerade durch ein fehlendes Manifest und ohne die restriktive Vorstellung einzelner hielt sich die Veranstaltung in einer flexiblen Schwebe.
Eine Bündel von verschiedenen Auffassungen, unter anderem sprachliche und gesellschaftliche Zuschreibungen, Informationen und Herangehensweisen in ebenso heterogener Mediatisierung, Ausformulierung oder materieller Umsetzung wurden von verschiedenen Autorinnen gestaltet und untersucht.
Die Ausstellung nach weimar als eine Veranstaltung der 90er Jahre überprüft traditionelle, neue und neueste Medien und Ausdrucksformen auf deren Präsentationstrukturen und Inhalte. Sie konzentriert sich im Spannungsfeld von politischen, ökonomischen und informationstechnischen Veränderungen und deren Konsequenzen auf die Bedingungen der Kunst und ihrer Institutionen; auf Künstler, die mit ihrer Arbeit eine individuelle Position einnehmen und diese auch als einzelne mit ihrem Namen vertreten und damit gesellschaftliche Verantwortung auf sich nehmen.
nach weimar
Auf dem Weg mit dem Auto nach Weimar halten wir an einer Autobahntankstelle. Die Ausstattung, das Sortiment der Waren, die Beleuchtung und Reklame entsprechen genau wie das Zimmer im InterCity Hotel einem universalen, auswechselbaren, westlichen Standard. Das Hotelzimmer hat eine Modembuchse und Kabelanschluß mit MTV und CNN.
Weimar steht zu seinen toten Künstlern. Das Bauhaus wurde zwar verjagt, aber das ist lange her. Weimar, Hort der Klassik, muß als Brücke zu einer früheren, besseren Vergangenheit Deutschlands herhalten. Kunstfest und Welttheater in kleinstädtischer Ruhe. 1999 wird Weimar Kulturstadt Europas und damit deutlich in den Kanon der westlichen Kulturschätze inkorporiert sein. Ein Kölner Galerist und Sammler war schneller als andere. Das neurenovierte Museum für zeitgenössische Kunst wird im Kulturstadtjahr ausschließlich die von ihm erworbene Sammlung zeigen und diese darüberhinaus langfristig konservieren.
Hintergründe, aber nicht Auftragsthemen für eine Ausstellung junger Importkunst.
Ökonomische Strukturen sind schneller penetrant als die kulturellen, ziehen diese aber unvermeidlich nach sich. Mit dem wirtschaftlichen Anschluß gleicht sich die Hardware der Systeme an und bedingt ähnliche standardisierte Nahrungsmittel, Denkinhalte, Professionen, Obsessionen, Sehnsüchte, Phobien, Fernsehprogramme, Umgangsformen, Geschwindigkeiten, Katastrophen und persönliche Verlustängste...
Die in nach weimar gezeigte Kunst ist in diese Prozesse eingebunden und flüchtet sich nicht in den bloßen Kommentar ihrerselbst. Die schon zur Platitüde verkommene Metapher der Kunst als Seismograph wird durch die zu häufige Anwendung nicht notgedrungen falsch. Ihre Halbwertzeit sieht stabil aus und Kunst muß sich Veränderungen stellen. Metamorphosen und Ubergänge, Fragmentierungen und Konstituierungen einer Generation, die ein neues Verhältnis zwischen eigener Körperlichkeit und Medienfixierung, Sozialleben und Kommunikation als bloßem Informationsaustausch, Hedonismus, Körperkult und gesell- schaftlichem Engagement vorgibt und vorfindet.
Die Ausstellung soll eine Öffentlichkeit für eine Kunst herstellen, die sich nicht damit zufrieden gibt, die dritte Epigonenvariation bekannter Formen zu sein und ist gleichzeitig ein Kommentar zu einer Kunst, die sich jung nennt, deren Urheber aber gar nicht mehr so alt werden können, wie es ihre Kunst schon ist.
Ziel ist auch die Infragestellung einer Kunst ohne Anliegen und gegen eine materialromatische Besinnung auf das schon Erreichte, eine Verdeutlichung von Auflösungen und Synthesen, die sich nicht nur im Bereich der Kunst vollziehen. Eine Ausstellung ohne proklamiertes Konzept, aber nicht ohne Kriterien. Die Künstler sollen nicht eine übergordnete Kuratorenidee illustrieren und sich damit in der Gesamtheit dem Detail, der einzelnen Arbeit, widersprechen.
Die Aufgabenstellung, eine Ausstellung mit Künstlern der eigenen Generation zu machen, ist zwangsläufig eine im besonderen Maße persönliche Angelegenheit.
Im folgenden möchte ich unabhängig von der entstehenden Ausstellung in Weimar näher auf einige Beobachtungen und stellvertretend auf einige wenige Künstler, mögen sie in der Ausstellung sein oder nicht, bzw. deren Arbeiten eingehen, die mir in den letzten Jahren Anstöße vermittelten und, vorsichtig ausgedrückt, formulierbar erscheinen.
Klar ist, daß dieser Text nichts Originäres herstellt, sondern nur zusammenzieht, kombiniert, vermischt und im günstigsten Fall ein leichtes Schwindelgefühl hervorruft: Text-Burger, McText.
Nachdem man zuviel und zu schnell hauptsächlich französiche Philosophie als Fastfood konsumiert hat und ihr irgendwie damit auch merkwürdig gerecht geworden ist, spricht man Worten gerade noch den kommunikativen Gehalt von Rorschachtests zu. In der Erinnerung vermengen sich die Quellen, Thesen, Autoren, Beschreibungen und unzählige déjà vus... Trotzdem sind nachstehend einige Arbeiten genauer beschrieben, Polarisierungen werden hergestellt, um auf einige zentrale Aspekte der Ausstellung zu verweisen.
Mit den Künstlern der Ausstellung teile ich den zumindest zeitlich gleichen Abschnitt an Vergangenheit. In diesem Fall einen Teil der 60er in Uteri und als Kind, die 70er als Schüler mit Schlaghosen, die 80er als Heranwachsender und junger Mensch zwischen Punk und Poppers, sowie die 90er als Beginn einer eigenen Arbeit. Aus dieser persönlichen Perspektive betrachtet man Filme in bezug auf Ihr Entstehungsjahr. Kunst aus den 70ern ist zwar noch zeitgenössisch, aber die Distanz wird merklich größer. In diesen rund dreißig Jahren haben sich radikale, mediale, gesellschaftliche und weltanschauliche Umwälzungen vollzogen. Die 60er feierten das Fernsehen als absolutes Massenmedium mit fast 100%iger Penetranz. Als Kind konnte man mitansehen wie die family values der Waltons langsam verblaßten und es im Geist der Serie "Startrek", bzw. "Raumschiff Enterprise" lange Jahre nur allzu wahrscheinlich schien, daß man einen größeren Teil seines späteren Lebens in Raumstationen verbringen werde. Der Sachkundeunterricht in der Grundschule bestätigte diese Erwartung.
Ein faszinierendes Phänomen der Startrek-Zeit war das Beamen. Eine Person wird dematerialisiert und zeitlich unmittelbar folgend an einer anderen Stelle des Universums wieder unbeschadet zusammengesetzt. Eine Überwindung von Raum, fast ohne Geschwindigkeit beschreibende Zeit. Eine antiquierte Vorstellung, würde man doch heute eher erwarten, daß sich Fluten von Informationen auf eben den Bildschirm holen lassen, vor dem man sitzen bleibt. Die Ausblendung des Raumes findet mit einer Geschwindigkeit statt, nur begrenzt durch die Zeit, die der Betrachter neurophysiologisch zur Wahrnehmung der dargebotenen Reize braucht.
Die 90er Jahre wurden eingleitet durch Mauerfall und Golfkrieg mit der angekündigten New World Order. Während das Ende des Kalten Krieges einer sich entideologisierenden Haltung entsprach, die ihre Identität in der Polarität in Gut und Böse, West und Ost nicht mehr finden konnte, war die eskalierende Krise am Golf die Manifestation der Medien als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.
Als eine Art Exklusiv-CNN-Direktübertragungsereignis mit einem Erlebniswert zwischen Eröffnung der Olympischen Spiele, Mondlandung und monumentalem Katastrophenfilm, vermittelten die Aufnahmen von Kameras, die auf den Sprengköpfen befestigt waren, kaum die Emotionalität von Computertomographien. Dem entwicklungstechnischen Vorsprung und einer nachrichtenpoltischen Sonderstellung entsprach die Aufmerksamkeit einer deskriptiven Simultaninterpretation von Virilio, Agentur Bilwet...
Der jahrelang in Jugoslawien tobende Bürgerkrieg entzog sich in seiner Komplexität einer telespielfähigen Choreografie. Bilder aus Exjugoslawien und Ruanda hatten nur dann eine Chance, wenn sie an Schwere und Anzahl der Verletzungen und Zerstückelungen von noch erkennbaren Körpern außer Konkurrenz standen.
Ungeachtet der internationalen Präsenz von großen Livesatellitschaltungen ist die massenmediale Wirkung des Fernsehens längst aufgelöst in der Vielfalt der Kanäle, so daß schließlich das Kino, vor allem die monopolisierten teuren Produktionen, diesen kollektiven Erlebniswert und damit die Funktion einer öffentlichen Mitte zurückerhalten haben. So bot der Film "Schindlers Liste" erinnerungsfähiges Bildmaterial in einer ausreichenden Erzähllänge für ein Publikum, das biografisch bedingt, keine unmittelbare Erinnerung an den Holocaust haben kann. Kleines Mädchen im roten Mantel.
"Terminator 2" und "Jurassic Park" führen uns die Nichtigkeit und Beliebigkeit der Bilder vor, die nur noch dokumentieren, daß der Computer den Dokumentarwert der Bilder endgültig abschaffen wird. Künstlerische Fotografie, die mit digitalen Verfahren arbeitet, bleibt in vielen Fällen weit hinter diesen populärkulturellen Vorgaben zurück. Großformatige Hoch- glanzfotografie, die die Kunstmessen überschwemmt, läßt die Kunst aussehen, als wolle sie an der Faszination der großen Medien teilhaben. Fotografie beschreibt nach Roland Barthes das schon gewesene, beschreibt die Vergangenheit und schließt nur den Aspekt der Gegenwart und der Zukunft aus. Sie ist das bildgebende Verfahren für Zeitungen und Magazine, Werbung, und sie steht den selbstleuchtenden Bildern entgegen.
Bewegte Bilder machen aus dem gefrorenen Zeitpunkt der Fotografie einen Zeitablauf. Ihre zunehmende Beschleunigung und die Geschwindigkeit entsprechen den Bedürfnissen einer schnellebigen, universell erscheinenden, angloamerikanisch dominierten Medien-kultur. Michael Jackson und Madonna haben schon in den 80er Jahren ein Race-, Gender- und Personality-Sampling vollzogen, dem die Kunst nur mit der Möglichkeit der Abstraktion etwas entgegen setzen kann.
Ein hybrides, plastisches Menschenbild veranschaulicht die verlorene Vorstellung einer gegebenen körperlichen Erscheinung. Matthew Barney geht mit den Begriffsfeldern Körper, Geschlecht, zoologische Klassifikation etc. in Form einer umfangreichen konsistenten Inszenierung um, die man im Fernsehen, im Kino. in einer Ausstellung oder am häufigsten als Reproduktion in verschiedenen Printmedien sieht. Diese Bilder zeigen in vielen Fällen Selbstporträts des Künstlers, des Akteurs, als fotogenes Mischwesen einer mit tierischen und menschlichen Attributen ausgestatteten Anatomie. Schnauzenartige Mundnasenpartien, tierähnliche Ohrdeviationen und grell gefärbte Haare prägen maskenartige Gesichter. Ein Crossover aus Mythos, plastischer Chirugie, sportivem body shaping und Genmanipulation mutierte zum bevorzugten Covermotiv. Mediale Bildfragmente bedeuten mehr Andeutung, Ahnung, Spur oder Dokument einer nicht zugänglichen Gesamthandlung.
Die britischen Künstler Dinos und Jake Chapman verzichten ihrerseits weitestgehend auf eine mediale Umsetzung in Film oder Video. Die Brüder schaffen, basierend auf Phantasien, die einem Haushaltswissen über Psychoanalyse und anderen Wissenschaften entsprungen sein könnten, eine direkte skulpturale Umsetzung ihrer Konzepte in Form einer Kinoszenographie (Virilio).
Schaufensterpuppen, Haarteile, modische Accessoirs, Fiberglas, Farbe sind Einzelteile der bis ins Detail ausformulierten Charaktere. Die menschenähnlichen Schöpfungen existierten schon vor ihrer Realisierung als kunstgeschichtliches, mythisches Zitat oder archetypische, traumartigen Vorstellung. Ihre Umsetzung der "Desastres de la Guerra" nach Goya bewegte sich noch im Format erschreckenden Spielzeugs, doch spätestens deren einzelne, lebensgroße Ausführung anläßlich der Biennale in Venedig, 1995, hat diesen infantilen Schauder gegen eine bewegte, irritierte Unentschlossenheit eingetauscht. Perfekt handwerklich ausgearbeitet, in einem instituionellen Rahmen präsentiert, brechen die Künstler mit einer materialverliebten, fast romantisch- barocken, anglophilen Vanitas-Tradition, die bis Peter Greenaway oder Damien Hirst reicht.
Die neueren Arbeiten zeigen zentaurenartige Wesen und siamesische Viellinge in ungeahnten Variationen geschlechtlicher Ausprägung. Die sich insgesamt polymorph pervers gebende Erscheinung bündelt sich in zahlreichen Geschlechtsteilen. Erschreckend ist die verdächtige Schönheit, mit der einen die unschuldigen vielgeschlechtlichen Kinder vom Titel der "Flash Art" anschauen. Sie haben ähnlich wie Barneys Kreaturen dort ihren effizientesten Ort gefunden. Die Künstler liefern das Filmset und damit ein unentwirrbares Knäuel. Der wie auch immer zu interpretierende Umgang mit Repräsentation und Ausdruck ist offen; die Medien übernehmen den Rest.
Einen Schwerpunkt der laufenden Kunstproduktion stellt zum hundertjährigen Jubiläum des Films und der Psychoanalyse die künstlerische Arbeit mit bewegten Bildern dar. Walter Benjamin setzte die beiden grundlegenden Entwicklungen der Jahrhundertwende in Beziehung und charakterisierte den Film als die Psychoanalyse der Bilder. Er erläutert eingehend die Rezeption der projizierten, beschleunigten Fotografie. Als traumähnliches Erlebnis kann der Betrachter, im dunklen Kinoraum eingehüllt, gerichtet durch Lichtstrahl des Projektors, seine Eindrücke in kollektiver Isolation inmitten des Publikums fast als inneres Bild wahrnehmen.
Ein zu spät kommender Kinogast stört den Projektionsstrahl und wirft einen Schatten auf die illuminierte Leinwand. Dieser unerwünschte partizipatorische Effekt der Kinosituation wird in einigen künstlerischen Arbeiten durch die Art der Installation hervorgerufen und es entsteht eine integrative Atmosphäre in einem Raum, in dem sich nicht nur die Bilder, sondern auch die Zuschauer bewegen.
Stan Douglas verbindet auf diese Weise den Raum des Publikums mit der Leinwand oder besser der Bühne der Handlung. Seine Arbeit "Subject to a film: Marnie" zeigt als Schleife von jeweils sieben Minuten eine Handlung, die sich nicht eindeutig lesen läßt. Inszeniert mit den Attributen eines Klassikers von Hitchcock wird Spannung erzeugt: Angestellte machen sich fertig, ein Büro zu verlassen, eine Frau öffnet in einem Bürotrakt nach Feierabend einen Safe -Schnitt- Angestellte machen sich fertig, ein Büro zu verlassen, eine Frau... Eine unklare Beobachterperspektive und vor allem die repetitive Loop-Technik entbinden den Plot aus einem lesbaren, zeitlich, kausalen eindeutigen Zusammenhang. Das kontinuierlich durch eine Apparatur laufende Filmmaterial transportiert ein kurzes Handlungsfragment, eine Andeutung, Die mit derartiger Filmästhetik provozierte Erwartungshaltung wird nur noch angedeutet und nicht mehr erfüllt.
Noch direkter auf Alfred Hitchcock bezieht sich die Arbeit "24-H-Psycho" von Douglas Gordon. Eine handelsübliche Kopie von "Psycho" aus einer Videothek wird mit Hilfe eines Recorders mit Jog Shuttle derartig auf Zeitlupentempo gebracht und der Film so auf die Dauer von 24 Stunden verlangsamt. Über einen einlinsigen LCD-Videobeam auf einen im Raum hängenden oder lehnenden matt-transparenten Projektionsschirm geworfen, meint man auf den ersten Blick eine projizierte Fotografie zu erkennen. Allmählich nimmt man minimale Bewegungen wahr und der Film bekommt einen kontinuierlichen Ablauf in leicht oszillierenden, aber dennoch erkennbaren Sequenzen. Nach längerer Zeit im abgedunkelten Ausstellungsraum scheint der Zuschauer sich an die Geschwindigkeit der stumm, unerträglich langsam ablaufenden Handlung zu gewöhnen.
Die indiskrete, intime Nähe zu dem sonst in Bruchteilen vorbeiziehenden Bilddetails übt eine starke Anziehungskraft aus. Das Bild behauptet sich autonom in der Zeit, die es im Raum steht. Das allgemeine Wissen um die Handlung des Hitchcock-Klassikers wird minutiös seziert und so dekonstruiert.
Der Erzählstrang, die Handlung des Films, wird als bloße, unverbunden erscheinende Bildinformation angeboten, die nur durch die Erinnerung an die Szenen des Gesamtfilms auf der Bedeutungsebene eingeordnet werden kann. Die Erzählzeit steht in einem krassen Gegensatz zu der erzählten Zeit der einzelnen Handlungsfragmente.
In den vergangenen dreißig Jahren hat sich an vielen Stellen des täglichen Lebens ein Simulakrenwechsel vollzogen. Bekam man vor zehn Jahren bei Sirenengeheul noch Adrenalinstöße, weil man mit einem Atomschlag oder Supergau rechnete, so bleibt einem mittlerweile der Atem stecken, wenn man erschrocken feststellt, daß man unbeabsichtigt gerade Rindfleisch gegessen hat. Eine materielle, energetische Bedrohung ist vorherrschend zu einer informationskodierten geworden. Die weltweite virusbedingte Aids-Epidemie, die pünktlich zur Pubertät dieser Generation einsetzte, oder ein Bekanntwerden noch kleinerer Proteinketten, seien es jetzt Virionen oder Prione bei Boviner Spongiformer Enzephalitis stellen eine Gefahr durch fremde Erbinformation dar, die den Organismus zum Kollabieren bringen. Man kann davon ausgehen, daß Genmanipulationen an Keim und Wirt oder die exzessive Reisetätigkeit einen Erregerpool exponiert, der in absehbarer Zeit zu der sich selbsterfüllenden Prophezeiung des Info-Tschernobyl eskaliert.
Die Angst vor dem Atom war eine sich politisch artikulierende, Menschen zusammenführende Kraft. Die kollektive Microphobie vor Ansteckung führt in den Vollzug der trockenen Isolation.
Männlicher Hysteriker ist nach Arthur Kroker derjenige Mann, der ständig Geschlechtsverkehr will, aber dabei keine Körperflüssigkeiten verlieren möchte: er befindet sich laut Kroker in bester Gesellschaft von Medienhelden wie Arnold Schwarzenegger in "Total Recall" oder der Filmfigur "Robocop". Kommunikation ist trocken, Sexualität ist feucht.
Feuchtigkeit erzeugt Kurzschlüsse in der Hardware elektronischer, verbindender Medien: Telefon, Internet, Cyberia... Feucht ist die romantische Sehnsucht nach physischem Austausch, trocken ist die mentale Promiskuität, die freundlich, aber unverbindlich, unberührt an den Oberflächen bleibt. Während Arnold Schwarzenegger als Conan von grauen Vorzeiten an bis in die Zukunft als Terminator einen gestählten Körper behielt, den er durch den ständigen physischen Überlebenskampf rechfertigte, sind Muskeln nicht mehr zwingend ein Hinweis auf körperliche Arbeit.
Beginnend in den 80er Jahren, ist in den 90ern die trainierte, definierte Männerbrust gleichberechtigt neben dem weiblichen Oberkörper zum Lustobjekt aufgestiegen. Take That und das gleich 5 mal. Mr. Ward räkelt sich am Pool.
Der Mann wurde in den Medien endlich von der aktiven genitalen Fixierung befreit und seine erogenen Zonen polymorph ausufernd, auf den ganzen Körper verteilt, um die größtmögliche Reizoberfläche als Subjekt und Objekt zu bieten. Das deleuzianische "und" verbindet die Oberflächen komplexer Identitätsgeflechte. Die Sehnsucht, die eigene Körperlichkeit mit den Oberflächen und Idealen der Medien in Einklang zu bringen, formt die Anatomie ebenso wie das Verhalten. Die Bildschirme werden größer und Videoprojektoren erlauben ein physisches Eintauchen in das Licht der digitalen Welten. Längst sind Großbildschirme nicht mehr nur am Time Square, sondern an prominenten Plätzen in weniger prominenten Städten untergebracht. Big Brother aus Orwells "1984" hat sich als freiwilliger Drang nach der Verbindung mit dem Medium einen Weg gebahnt.
Der Körper nähert sich dem indifikatorischen Medienwesen an.
Oral kodierte Rituale wie Eßstörungen und Selbstkasteiungen in Fitneßstudios bilden ein kompatibles Äußeres. Vonwegen Vielheit, Differenzen und, und, und...
Pipilotti Rist schafft in "Sip my ocean" eine wirklich ozeanische Lust, sich mit den Bildern und der Musik ihres Videos zu verbinden. Zwei Videoprojektoren leuchten monumental eine Ecke des Ausstellungsraumes mit den wechselnen Motiven eines Musikclips aus. Pipilotti Rist singt den erfolgreichen Chris Isaak-Song "Wicked Games" nach und zeigt dazu ihren eigenen Videoclip. Sitzt im Original der Sänger an einem exotischen Strand in intimem Kontakt mit einem leichtbekleideten Modell, so taucht Pipilotti in das Meerwasser und umgibt den Zuschauer mit dem blauen Licht der Fluten. Sie vermittelt zwischen den wirklichen großen Medien und den Kunstvideos, zwischen Popmusik und Karaoke. Sie nimmt den Besucher fest an die Hand und lockt ihn mitten in den dreidimensionalen Licht- und Klangraum. Der Fernsehbildschirm hat sich durch die Projektion in die dritte Dimension ausgeweitet, er ist begehbar geworden. Der Betrachter wird von den Projektoren scheinwerfergleich mit Bildern angestrahlt. Rist gibt sich als selbstbewußte, wilde Mädchen-Medien-Frau, die weiß, was sie will, die aber gleichzeitig eine greifbare Nähe zum Publikum aufbaut. Ihre MTV-ähnlichen Videoclips, mit leuchtend flüchtigen Bildern umgeben das Gegenüber mit Licht, Farben und Musik; ein scheinbar ganzheit-liches, oberflächliches, synästhetisches Eintauchen in die tröstende Bilderflut. Sie vereinnahmt, überhöht oder bricht populärkulturelle Lust-Simulationen, um ihren Kanon an Gemütslagen auszudrücken. Laut ihrer Biografie benutzt sie Video, "weil da alles ( Malerei, Technik, Sprache, Musik, Bewegung, miese, fließende Bilder, Poesie, Hektik, Ahnung vom Sterben, Sex und Freundlichkeit) Platz hat wie in einer kompakten Handtasche".
In der Arbeit "Selbstlos im Lavabad" von 1994 windet sie sich tänzerisch, ruft penetrant aus einer Spalte im Parkett des Ausstellungsraume um Hilfe. Selbstbewußt der Technik ausgeliefert, gefangen in ihren Metaphern ("Unsere Augen sind blutbetriebene Kameras"), zwingt sie ihren Körper in die Öffentlichkeit.
Christine Hill vereint Identitäten. Sie verliert sich vollkommen in ihrer Rolle als multiple Persönlichkeit. Modell, Künstlerin, Popsängerin oder Gogotänzerin sind Facetten von möglichen medialen Identitäten, Sie wechselt Tätigkeit, Stil oder Haarfarbe und führt eine künstliche Mediengestalt im permanenten Selbstversuch vor. Touristisch bewegt sie sich von einer Oberfläche, von einer "Berufung" zur anderen und liefert sich damit dem ständigen Anspruch, der gegenwärtigen Rolle gerecht zu werden, aus. Das Material Girl Christine Hill gibt sich als Dienstleisterin für ihr Kunstpublikum und baut damit eine Brücke zu einem Umgang mit Dienstleistungen und einer funktionalen "In-die-Pflichtsetzung" von Kunst.
Funktionale Objekte zwischen Skulptur und Möbelstück stehen in Beziehung unter anderem zu Chamberlains Schaumstoffcouches, Judds Einrichtungen und Grahams "Pavillon for watching Videos". Ideologien und Utopien der Gestaltung, des Designs, der Funktion, des Umgangs mit Ornament, der Produktion und Benutzung werden aufgearbeitet, kommentiert oder eingelöst.
Jorge Pardo, Andrea Zittel oder Tobias Rehberger stehen hier für verschiedene eigenständige Ansätze, die zunächst nicht vielmehr gemein haben, als daß man einige ihrer Arbeiten im weitesten Sinne als Möbel bezeichnen könnte.
Eine Grenzüberschreitung zwischen Kunst und Design bedeuten die Arbeiten von Jorge Pardo. Lampen, Liegen, ganze Einrichtungen unterscheiden sich nur in Nuancen und in ihrer Bedingtheit von Gebrauchsgegenständen und deren Produktion.
Tobias Rehberger reichert seine Arbeiten narrativ mit einer sie umgebenden Geschichte an, sei es durch ihre Entstehung als Thematisierung von kulturellen Transferleistungen oder durch ihre Bindung im Bereich des Privaten, einer Widmung.
Andrea Zittel hingegen, möchte mit ihren Neuschöpfungen alltäglicher Gegenstände Lebensqualität durch Komfort verbessern, ihre in strenger Materialauswahl und sparsamer Ornamentik ausgeführten Prototypen verweisen auf eine gleichzeitig existierende, bessere Welt. Sie wehrt sich als Künstlerin gegen die Uberschwemmung und das Diktat von Formen und Bildern. Konsumgüter, die als Alltagsgegenstände bis hin zur Zahnpastatube durch Marketingstrategien in ihrer Gestaltung geprägt sind, stehen denen als Skulpturen ausgeführten Alltagsgegenständen von Zittel gegenüber. Ihre Objekte lösen Postulate ein, die in der Massenproduktion nicht durchsetzbar oder ideologisch erscheinen würden. Sie verfolgt das Anliegen einer Verbesserung, das sie einerseits experimentell, anderseits über Syntheseprozesse erreicht. Über diese beschriebene Intention hinaus, sind ihre 1995 im Museum for Modern Art in San Francisco vorgestellten Trailer auch persönliche Räume, die Mobiltät mit Geborgenheit, unabhängiges Reisen mit einer privaten, frei gewählten, autonomen Atmosphäre verbinden. Die Trailer bieten dem Benutzer eine mobile, persönliche Umgebung und schließen damit die in ihnen verbrachte Zeit, die Reisen, die Intimität der erlebten Situationen in die künstlerische Arbeit mit ein. Zittel hat ihre eigene Firma, die A-Z Administrative Services gegründet. Für die Trailer sind, über den reinen Kunstkontext hinaus, Bestellungen an sie gegangen. Privatpersonen wollten nach Veröffentlichungen in verschiedenen Medien die Wohnwagen für Urlaubs- und Wohnzwecke erwerben.
Die globalen Märkte verbindet ein gemeinsames, medial gesteuertes Konsumverhalten. Fernseh- und Kinowerbung besticht durch virtuose Verschränkungen von Bildfolgen und eingänglcher Musik in immer schnelleren Schnittfolgen. Der dadurch resultierenden Reiz-überflutung im audiovisuellen Bereich kann man nur durch die Flucht nach vorn, durch Channel Zapping oder Screening entkommen. Die wechselnden Kanäle werden zu einem anziehenden, zum Wohlbefinden gehörenden Hintergrundrauschen. Bei den Printmedien beschreiben Magazintitel wie "Wired" oder "Dazed and Confused" Zustände oder Stim-mungen, die einem schwindeligem "Angeschlossensein" entsprechen. Die redundanten Medienbilder führen zu einer heimeligen Bestätigung, die alles um den Rezipienten herum nivelliert und inkorporiert.
Die persönlichkeitsformenden Effekte der Medienbilder, die proklamiert fehlende Differenzierung zwischen direkt sensorisch wahrgenommener Umgebung und offensichtlich technisch mediatisierten Reizen, konnte im weiteren zu einer Ausstellungskonzeption wie Posthuman führen. Nach der Absage der Identitäts- und Körperkunst der 80er Jahre ist hier jedoch eine andere Richtung skulpturalen Vorgehens wichtig geworden, die den Betrachter direkt und aktiv als Subjektobjekt unter Objekten partizipieren läßt. Das Erleb- und Fühlbare, potentiell Erfahrbare und Formbare wird polysensorisch an den Benutzer herangeführt. Fabrice Hybert, Marie-Ange Guilleminot, Michel François bringen das Gegenüber dazu, sich ihren Objekten haptisch anzunähern und werfen den "Benutzer" auf die eigene Körperlichkeit zurück. Das oben genannte polymorphe, perverse Körpergefühl entspricht in der konservativen Psychoanalyse dem Stadium, in dem der Mensch noch am ganzen Körper erregbar ist, bevor sich das Kind über verschiedenene Stufen (anal, oral), nacheinander zu einer idealen genitalen Struktur und damit zu einer reifen Persönlichkeit entwickelt. Dieses Gefühl ist in den Arbeiten von Fabrice Hybert zu einem zentralen Gegenstand geworden. Seine Schaukeln mit flexiblen konvexen, bzw. konkaven Fortsätzen verweisen zwar auf eine genitale oder anale Fixierung. Die auch bei Kindern beliebten Objekte sind durch ihre Benutzbarkeit und ihre welche Beschaffenheit, zusammen mit anderen Details wie dem latexausgegossenen Bienenwabenteppich, der ebenfalls einen direkten Körperkontakt anregt, ein direkter Verweis auf eine intendierte intime Benutzung.
Marie-Ange Guilleminots Arbeit "Mes Poupées" sind etwa handgroße verschieden geformte, manchmal anthropomorph erscheinende Nylonsäckchen, die mit Talg gefüllt sind. Sie schmeicheln nicht nur durch die Beschaffenheit ihrer Hülle, ein Material, das sonst typisch für Damenstrumpfhosen ist, sondern auch durch die fast flüssig erscheinende Feinheit des Talgpuders, das durch das Nylon nur unzulänglich zurückgehalten wird, so daß es geradezu dem Benutzer in die Hände fließt. Dieser formt die kleinen Skulpturen in seiner Hand und genießt die anschmiegsamen Charaktere dieser ebenfalls etwas unanständig intim daherkommenden Puppen. Die Präsentation der Poupées in Sexshops oder Nahrungs- mittelgeschäften in Paris belegt nur ihre Nähe zum Körper, sei es als Kleidung, Nahrung oder haptisch taktiler Stimulans.
Marie Ange Guilleminot bezeichnet die Puppen als "objets partiels", als ambivalente Spur und formbare Masse, die unfertig wie ein undifferenziertes Gewebe pluripotent Gestalt gewinnen können und am ehesten der Definition Batailles von "formlos" entsprechen. Faktisch oder imaginär werden die Talgsäckchen geknetet und damit aktiv fließend verändert und interpretiert. Talg färbt die Hände, und die Begrenzung der Objekte erscheint aufgelöst.
Eine ähnliche physische Resonanz und Empfindung provozieren die Arbeiten von Michel François. Seien es die Tonabdrücke seiner Hände, Schokoladenwürfel, die von seinen Töchtern angenagt wurden, wassergefüllte Gummiblasen oder das in Gips getauchte Gesicht seiner Frau. Sie veranschaulichen einen Begriff von Volumen, Innen und Außen und verdichten sich zu einer spürbaren Spannung von toter und belebter Umwelt. Die Oberfläche seiner Objekte wird zu einer intimen hautähnlichen Membran.
Der Mensch als konkav-konvexe Schlauchform, innen hohl eingestülpt in Form des Verdauungs-kanals und nach außen zusammengehalten durch die Epidermis, wird nicht wissenschaftlich seziert oder analysiert. Er wird in einer nicht verletzenden Distanz und Abstraktion in seiner sinnlichen Objekthaftigkeit veranschaulicht. Nahrungsaufnahme, Ausscheidungen, raumverdrängende, nach aussen tretende Formen, Teilungen, Neubildungen sind Assoziationen, die einen mobilen, veränderbaren Zustand und die Wahrnehmung der Arbeiten als lebendig, körperlich beschreiben: Dinge fallen, werden abgerieben und hinterlassen Spuren, Hände umhüllen, glätten, formen, Teile treten hervor und dringen ein.
Monica Bonvicini schafft mit ihrer Arbeit "Wallfucking" eine Verbindung dieser physischen Resonanz zu der Architektur des Ausstellungsortes. Neben der Eingangssituation in das zur Ausstellung noch nicht fertiggestellte Museum ist eine zweite Tür geplant. Sie soll in ein kleines, etwa 3-4 qm großes Zimmer führen. Aus einer der Längsseiten steht eine etwa handbreite Wand hervor; die verputzte Mauer schiebt sich in den Raum und teilt diesen. Sie steht der eintretenden Person bedrängend entgegen. Auf dem Boden zeigt ein Videomonitor einen unbekleideten weiblichen Torso, der die beschriebene Wand als Masturbationsfläche benutzt. Die intensive, intime Geschäftigkeit, der nicht näher zu identifizierenden Frau dauert einige Minuten und wird dann durch ein störendes Rauschen und Bildwackeln unterbrochen. Um die weitere Ausstellung zu besuchen, muß der Betrachter das Zimmer wieder verlassen und durch den Haupteingang, auch nur eine Baustellentür, in das Museum eintreten. Die einzelnen Ausstellungsabschnitte sind so organisiert, daß die Räume sich als taktile Eindrücke erschließen.
Es entstehen Situationen, komplexe Reize, die als solche erinnerbar sind. Der Beschreibung vom Bild als Substrat der Wahrnehmung, Grundlage und Gegenstand der Erinnerung, steht die Auffassung des Bildes als ein Fenster in eine andere Welt gegenüber. Die Eingangsbehauptung, daß alles medial sei, läßt die Metapher des Fensters, aber auch das Schlagwort der virtuellen Realität fragwürdig erscheinen. Ein willentlicher Verzicht auf die "klassische" Ausstellungssituation des Tableaus an der Wand, sei es Malerei, Grafik oder Fotografie, gibt Raum für komplexe Situationen und fordert die Institution des Museums als Schwelle, Vitrine und architektonische Struktur heraus.
Das Museum ist Resultat einer gesellschaftlichen Entwicklung gewesen. Die bürgerliche Gesellschaft, die es begründet hat, löst sich in der hergebrachten Form allmählich auf. Die Integration von Lehre und Vermittlung in die augenblickliche Kunstpraxis, eine Offenheit und ein Interesse für sozialverbindende Situationen auch über den Kunstkontext hinaus, die Herausforderung, sich nicht in die bloßen Machbarkeiten und Möglichkeiten neuer Technologien zu verrennen, die Frage nach plausiblem Einsatz von Medien und Mediatisierbarkeit von Kunst, wird nicht durch einzelne Ausstellungen beantwortet.
Der vorhandene Bestand an Museumsflächen und der daraus resultierende Bedarf nach neuen originalen Objekten für "Wand und Boden" kann die traditionelle Kunstproduktion nicht mehr allzu lang durch Nachfrage am Leben erhalten. Eine aktuelle, engagierte und informierte Vorgehensweise von Künstlern wird letzendlich die Orte bestimmen, an denen sie präsentiert werden.