Ilya Kabakov


"Blickst du hinauf und liest die Worte ..."

Beschreibung der Installation.

Im offenen Gelände nahe dem Fluß , dessen hügeliges Ufer im Sommer grasbewachsen und nur von wenigen Menschen besucht ist, wird eine Metallkonstruktion errichtet, die Ähnlichkeit mit einem Sendemast hat. Wenn der Betrachter näher an sie herantritt und den Blick an ihr hinaufwandern läß t, bemerkt er zu seinem Erstaunen, daß zwischen den "Fühlern" des Sendemastes kaum sichtbare Buchstaben angebracht sind, die sich bei angestrengtem Hinschauen zu Worten verbinden. Sie bilden folgenden Text: "Mein Lieber! Du liegst im Gras, den Kopf im Nacken, um dich herum keine Menschenseele, du hörst nur den Wind und schaust hinauf in den offenen Himmel - in das Blau dort oben, wo die Wolkenoeziehen - das ist vielleicht das Schönste, was du im Leben getan und gesehen hast."

Das "Salz" der Installation ist die Stärke der Linien, aus denen die Buchstaben und der gesamte Text entstehen. Sie ist (als 3 mm starker Draht) so bemessen, da sie vor dem Hintergrund des Himmels aus 13 Metern Entfernung vom Boden aus eine Art Flimmereffekt erzeugen: "Sehe ich da etwas oder nicht?" (Ein ähnlicher Effekt entsteht, wenn man ein Spinnennetz im Unterholz eines Waldes sieht.) Mit einer gewissen Anstrengung unserer Augen können wir also diesen Text lesen, doch strengen wir uns nicht an, so könnten wir glauben, es gäbe ihn nicht. Mal erscheint der Text vor unseren Augen, dann löst er sich wieder vor dem Himmel auf. Dieses Flimmern beim Entziffern des Textes stimmt mit seiner Doppeldeutigkeit überein. Man kann ihn ebenfalls als Trugbild oder Erscheinung auffassen.

Immer, wenn wir zum Himmel aufschauen, ahnen oder erwarten wir unbewuß t eine "Botschaft" von dort oben. Es scheint uns, als geschhe in diesem unendlich hohen All irgend etwas. Doch ich kann kaum erwarten, da sich dieses Etwas direkt an mich wenden und einen Kontakt zu mir persönlich herstellen wollte.

Das entspricht wiederum der Unsicherheit meiner Augen. Der riesige Antennenschirm hat auf eine rätselhafte Weise diese "Information" empfangen und übermittelt sie mir, wenn ich am Fuß des Sendemastes stehe und den Kopf hebe.

Ich möchte jedoch wiederholen, daß dieser Effekt des überraschenden Angesprochen werdens nur dann entsteht, wenn mein Bewußtsein und meine Augen nicht ganz sicher sind, daß sie in großer Höhe wirklich etwas im blauen Himmel vor den weißen Wolken erkennen und entziffern.

Da gerade dieser Standort zur Realisierung der beschriebenen Installationsidee gewhält wurde, hat einen besonderen Grund: Er befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu der wunderschnen Plastik von Donald Judd am selben Ufer des Flusses. Judds Kunstwerk strebt mit seiner ganzen Konstruktion in die Höhe, zum Himmel auf. Steht man daneben, so wandert der Blick unwillkürlich nach oben. Judd hat hier eine Verbindung von Himmel und Erde geschaffen. Unter dem Eindruck dieses Werkes wollte ich das selbe Thema aufgreifen, da die Uferlinie, die umgebende Landschaft und die Aura des Ortes selbst ber eine weiten Strecke hin gleich bleiben.

Des weiteren enthält diese Installation auch ein "spielerisches" Element. Der Sendemast mit der Antenne ist ein eindeutiges Bild, Symbol unserer technischen Zivilisation und ihres ununterbrochenen "Fortschritts". Er ist ein Mittel zur Weitergabe von "Informationen" an die ganze Welt und zum Empfang von Informationen von überallher, die von Jahr zu Jahr mehr werden und das menschliche Aufnahmevermögen bei weitem überfordern. Das "Pathos" dieser Installation besteht nun gerade darin, da man aus diesem "Wind" der Zivilisationoehinaustritt, mit sich und der Natur allein ist und das Wehen eines ganz anderen Windes vernimmt.

Da dieses Kommunikationssymbol, die Antenne, ihre gewohnte Funktion verliert und nicht mehr deren Instrument ist, sondern lediglich als Untergestell und Rahmen für einfache menschliche Worte dient, kann man ebenfalls als eine Art Symbol lesen, ja sogar als "Protest", der in ironischer, "spielerischer" Form ausgedrückt wird.



Kurze technische Beschreibung

Die Installation ist eine Stahlkonstruktion, die aus einem Mast und 22 an seiner Spitze befestigten "Antennen" aus Metall besteht. Zwischen diese Antennen sind 3 mm dünne Metallbuchstaben geschweißt.

Der dreikantige Mast (Höhe 13 m) mit einer Kantenbreite von je 45 cm ist unten auf einem Betonblock befestigt (oberirdische Höhe 20 cm). An der Mastspitze sind zwei Aluminiumrohre (Durchmesser 40 cm) befestigt, die bei 14,45m lang sind. Sie dienen als Unterlage für die lotrecht darauf liegenden "Antennen". Die beiden Aluminiumrohre "liegen" parallel, der Abstand zwischen ihnen beträgt 45 cm. Sie sind fest an das obere Mastende montiert, damit sie sich nicht drehen können. Auf diesen beiden Rohren sind 22 verschieden lange "Antennen" befestigt. Sie sind zusammengesetzt (siehe Zeichnung), bestehen im Mittelteil aus ineinandergeschraubten Rohren und enden in normalen 2 cm starken Metallstäben. Der Abstand zwischen ihnen ist zur Mitte der Konstruktion hin größer und zu den Rändern hin kleiner (siehe Zeichnung). Zwischen den "Antennen" sind Buchstaben angebracht. Sie sind aus 3 mm starkem Draht und an die Antennen entweder angeschweiß t oder angeschraubt. Da die "Antennen" im Wind schwanken können, muß die Befestigung der Buchstaben noch gründlich überdacht werden. Die Verankerung des Mastes und der "Antennen". Der Mast wird von 6 Spanndrähten gehalten, die an 10 m vom Mast entfernt in die Erde eingegrabenen Betonpfosten verankert sind. 3 Drähte (8 mm stark) gehen von der Mastspitze und 3 von der Mastmitte aus. Damit sich die beiden Rohre, auf denen die "Antennen" befestigt sind, nicht biegen, sind diese ebenfalls mit zwei Drähten gesichert. Zu diesem Zweck ist an der Mastspitze ein 2 m hoher senkrechter Stab angebracht, von dem die beiden Drähte ausgehen und an den "Antennenpfetten" befestigt werden. So bleibt die gesamte Antennenkonstruktion stets in der Waagerechten. "Mein Lieber! Du liegst im Gras, den Kopf im Nacken, um dich herum keine Menschenseele,du hörst nur den Wind und schaust hinauf in den offenen Himmel - in das Blau dort oben, wo die Wolken ziehen - das ist vielleicht das Schönste, was du im Leben getan und gesehen hast."

Aus dem Russischen von Annelore Nitschke

"Sendeturm"

19.8.96