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550--Schöner Wohnen im Kampfgebiet
Reload, nachladen, weniger die Seiten in Netscape, sondern die Waffen, immer
wieder, immer mehr, um rumballern zu können, was das Zeug hält. Jag den Gegner
durch die Hamburger Kunsthalle oder über die terassenhaften Flächen eines
schönen klaren weißen Gebäudes im Internationalen Stil der gepflegten frühen
30er Jahre. Paß auf, daß man dich nicht auf dem weiten blauen Feld erwischt,
dort, wo es viele Waffen, aber keine Deckung gibt. Und schließlich achte
in diesem durchsichtigen Level, in dem die Welt nur noch aus Umrißzeichnungen
besteht, achte dort darauf, wo du hintrittst, sonst stürzt du übel ab.
“Reload” hat jedoch noch mehr Abstürzebenen als jene im killerfreundlichen
Computerspiel Quake. Da sind zunächst einmal die architektonischen Einbauten
von Stefan Wieland, eine verschachtelte Landschaft, auf und über die man
zu den Monitoren klettert. Das macht Spaß, entspricht dem Computerspiel,
hat sich zudem als bequem und kommunikativ erwiesen, ist aber eben auch nicht
ganz ungefährlich, da man in so manches Loch fallen kann.
Die nächste Gefahrenebene wird von allgemeinen gesellschaftlichen Bedenken
geprägt. In Wochen, in denen plötzlich auch in Deutschland das Amoklaufen
nicht unter fünf Leichen in Mode kommt, kann man noch so sehr betonen, daß
hier vier künstlerische sogenannte Level eines weltberüchtigten Computerspiels
präsentiert werden, was nicht anderes heißt als vier unterschiedliche Architekturvarianten
des Kampffeldes, aber, es sei noch mal betont, eben viel künstlerischer als
sonst so üblich. Und daß diese Level allesamt gar nicht schlecht geraten
sind. Und daß Leute, die zuvor nie etwas mit Ballerspielen am Hut hatten,
jetzt andauernd auftauchen und gerne ballern. Und nicht eine Sekunde daran
denken, was draußen auf der Straße oder in den Köpfen kleiner böser Jungs
und Mädels geschieht. So kam die Geschichte mit den beiden Amokläufern und
die Sache mit der Lehrerin doch etwas unangenehm dazwischen. Oder auch genau
treffend. Wie böse kann ein Ballerspiel noch sein, wenn es in anspruchsvoller
Architektur stattfindet? Abgesehen davon ist Quake spielen eine ernstzunehmende
sich weltweit organisierende Disziplin, die ausgeprägte motorische Fähigkeiten
an Maus und Tastatur verlangt und zudem für die Art und Weise von Verteidigung
und Angriff auch kreatives Kapital benötigt. Ferner kann man dabei weder
rauchen noch saufen, essen allerdings auch nur schlecht. Ein scheint ein
wenig kurz gedacht, solch anspruchsvolle Killerspiele verantwortlich für
eine (wirklich zunehmende, oder nur besser vermittelte?) Gewaltbereitschaft
zu machen.
Begeben wir uns also zum Töten in die diversen Level. Einem Projektplan
gleich erscheint die Welt von Christine Meierhofer (grüne Linie), mit wenigen
Strichen und Schraffuren herunterskizziert und mit dem Charme aus Zeiten
versehen, als auf Computerbildschirmen noch hellgrüne Schrift blinkte. Alles,
worauf die Quake-Macher stolz sind, ist zerstört. Die Welt ist nicht mehr
üppig-schwülstig, sondern ein gemeines Drahtgitter, in dem jede Bewegung
eine abstrahierte wird. Ganz anders dagegen das gepflegte weiß geflieste
Ambiente bei Tom Ehninger (schwarze Linie), brutal sauber und mit brutal
guten Verschachtelungen und Proportionen versehen. Dieses stilsichere Kleinod
aus der Architekturgeschichte scheint wie ein vergessener Planet im Universium
zu schweben und sich immer wieder auf sich selbst zu beziehen. Denn rennt
man ins schwarz/gelbe des Alls, so fliegt man zwar raus, scheint nach unten
zu fallen, landet jedoch wieder auf der Terasse und ist sogleich wieder im
Spiel.
Holger Friese hat seinen Level (orange Linie) mit Gemeinheiten gespickt,
man wird eingeschlossen, ersäuft fast in einem Wassertunnel, wird abgemeuchelt,
wenn man meint, man käme weiter und Architekturen setzen sich in Bewegung,
um einen zu erschlagen. Ansonsten sieht es recht angenehm in dem blauen Ambiente
aus und man erkennt so manches Detail, das sich auf frühere Arbeiten von
Friese bezieht, womit sein Quake fast schon so etwas wie ein Katalog zur
eigenen Arbeit geworden ist. Doch dies merkt man erst mit der Zeit. In der
Hamburger Kunsthalle dagegen weiß man ganz genau, daß hier alle Bilder an
ihrem Platz hängen. Damit ist dieser Level (blaue Linie) der "NoRoom Gallery"
der konventionellste (auch wurden Kunsthäuser schon im Vorgängerspiel Doom
nachgebaut), aber er hat seinen ganz besonderen Reiz. Durch die vielen Etagen
stoßen die Spieler gar nicht so oft zusammen und man kann sich in Ruhe die
Sammlung anschauen und solchen Fragen nachgehen, ob bei dem hängenden Bruce
Nauman nicht noch ein Stuhl fehlt. Es ist hier manchmal tatsächlich eine
schwierige Entscheidung, ob man sich dem Kampf oder der Kunst stellt.
Christoph Blase |
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